Recovery Challenge
Recovery; englisch für Erholung, Genesung, Gesundung, Wiederherstellung, Besserung
Challenge; englisch für Wettbewerb, Herausforderung, Wettstreit, Aufgabe, Kampfansage, Probe
Daran, dass man sich auf Instagram vielfach mit einem Imperativ – also der Befehlsform –anspricht, habe ich mich schon fast gewöhnt, wenngleich mich das Befremden jedes mal sticht und mich daran erinnert, nicht beim Militär zu sein. Außerdem kann frau ja auch entfolgen.
Immer öfter beobachte ich in der Pro-Recovery-Szene nun die Aufforderung zu "Food- bzw. Fear-Food-Challenges" (quasi eine Aufforderung zur Expositions-/Konfrontations-'Therapie'). Von eigenen (Food- und Fear-Food-)Challenges zu berichten, mag Sache persönlicher Präferenz sein. Andere zum Wettkampf aufzurufen, stößt bei mir auf Verwunderung.
Von Wettbewerben und Konkurrenz profitieren meist jene, die sie ins Leben rufen: die Gewinner. Doch wer gewinnt, wenn Recovery zum Wettstreit wird?
Abnehm-Challenges waren in Pro-Ana-Foren bliebt, haben jedoch spätestens seit sie von The Biggest Looser-Formaten imitiert wurden, ihren Charme des Geheimen verloren.
Aktuell wird nicht mehr Göttin Ana, sondern Göttin Gesundheit verehrt. Wer möchte sich da als dionysische Teufelin outen und öffentlich Zweifel gegenüber dem Pro-Recovery-Trend äußern. Es grenzt an Häresie. Nun ist Gott schon lange tot und also genügend bekannt, dass das Gute niemals an sich gut ist – weil es dialektisch nur im Bunde mit dem Bösen – oder noch schlimmer: dem Schlechten - steckt, weil zu viel des Guten meist nicht gut tut oder weil im Namen des Guten schon viel Schlechtes verübt wurde. So will ich einen Versuch wagen:
Zunächst ist anzumerken, dass Wettbewerbe den Gemeinsinn stärken können. Daher gab es schon im alten Rom, neben Brot, vor allem Spiele für das Volk. Ist Recovery also als Mannschaftssport denkbar? Theoretisch ja. Praktisch ist hierzu einiges an Verdrängungsarbeit zu leisten, wurzelt der Mannschaftsport doch in militärischen Übungen. Da die meisten Challenges von zahlreichen Imperativen begleitet werden, dürfte die erforderliche Verdrängungsarbeit nur schwer möglich – und auch nicht unbedingt anzuraten – sein. Liebe dich selbst! Sei frei! Sie gehorsam Kameradin, streng dich an! Gib alles! Ich ich will doch nur dein Bestes! Wer das Beste definiert, ob aus Zwang tatsächlich Liebe und Freiheit entstehen mag – ja selbst was Liebe, Gesundheit und Freiheit sind – wird eher selten hinterfragt.
Gegenseitige Unterstützung, so meine ich, klappt ohne Challenges meist besser. Dies vor allem daher, da Challenges Verlierer produzieren, die es ohne Challenges garnicht gegeben hätte. Für diese also ist dieser Text gedacht. Und auch für alle Wehrdienst-Verweigerinnen, die das Leben nicht als Challenge gegen den Tod begreifen und sich daher weigern, dagegen in den Krieg ziehen – zu welchem Zweck auch immer.
Es sei betont, dass auch der Hinweis, es mögen nur jene an Challenges teilnehmen, die sich dazu bereit fühlen, eine Rhetorik der Gewinner ist: Welcher Verlierer könnte so etwas sagen?! Wer mitmachen darf und kann und wer nicht, bestimmen stets jene, die die Spielregeln vorgeben. Nicht die Inhalte der Challenges sind also das Problem, sondern die Struktur (bzw. die Übernahme ökonomischer Denkweisen zur Errettung der modernen Seele – demgegenüber die Eva Illouz-Leserin ohnehin skeptisch gegenüber steht).
Dies gilt im Übrigen auch für Challenges, die frau sich selbst setzt. Erstens wäre es ja schön blöd, sich Challenges zu setzen, bei welchen frau schon im Vorhinein weiß, dass sie verlieren wird. Das lässt sie lieber blieben, will sie sich nicht vorsätzlich ins Unglück stürzen.
Einen gewissen Reiz bieten Aufgaben, die leicht zu gewinnen sind, zum Beispiel das Zähneputzen am Morgen. Erklärt frau dieses zur Challenge, hat sie sich selbst ein Erfolgserlebnis gebastelt und kann morgendlich süß, mit verwuscheltem Haar und Zahncreme in den Mundwinkeln, ein Bild ihrer gewonnen Challenge posten und sich als Heldin feiern. Dagegen ist nichts einzuwenden. Zugleich aber kommt damit auch jener Anteil überhaupt erst zum Vorschein, der sich gegen das Zähneputzen verwehrt: er ist ja ganz essenziell, damit es überhaupt eine Gewinnerin geben kann! Ohne Verlierer, keine Gewinner. Und so führt erst die Struktur des Wettbewerbs zu einem tiefen Spalt im Individuum, dass nun beständig gegen sich selbst kämpft und im Kreisen und Kämpfen um und mit sich selbst nicht so Richtung von der Stelle kommt.
Ob Recovery mit Wettbewerb und Disziplin erzwungen werden kann, oder ob es Recovery von Recovery- und Food-Challenges braucht und also grade jenes Wettbewerbs- und Zwangs-Denken der 'Heilung' im Weg steht, bleibt eine offene Frage. Wer funktionieren und sich unauffällig in die gesunde Masse fügen möchte, wird zum Soldatischen tendieren und die ‚Gesundheit‘ zu erzwingen suchen (das zweifellos auch funktionieren mag: Drill, auch jener zur ‚Gesundheit‘, ist effektiv. Studien zur Verhaltenstherapie zeigen das empirisch).
Die Lebenskünstlerin hingegen findet ihre eigene Definition von Gesundheit und Heilung: mitunter eine, die auch die Krankheit, den Wahnsinn und das Teuflische einschließt. Sie begreifen Heilung vielleicht eher als Ganzwerdung. Was wäre der Tag, ohne die Nacht? Oder die Nacht ohne den Tag? Sie betrachtet das Leben nicht als feindlichen Gegner, den es im Wettkampf zu besiegen gilt. Lieber stellt sie es sich als Tanzpartnerin vor, mit der sie einen Rhythmus zu finden sucht – oder einen Rütmus, wie es Maria Erlenberger in Der Hunger nach Wahnsinn schreibt: „Rütmus (gefällt mir besser als R-hyt-h-mus).“