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Das Gehirn ist kein Computer

– 4 Argumente für Gespräche mit Neuroreduktionisten und Transhumanisten von Thomas Fuchs


Personen sind keine Programme


Maschinen fehlt intentionales Bewusstsein und damit die entscheidende Voraussetzung für Verständnis. „Folglich kann menschliches Verhalten nicht auf Programmabläufe oder Informationsverarbeitung reduziert werden, gleich ob nun ein Computer oder das Gehirn als ihr Trägersystem angesetzt wird. Sinnverstehen oder Semantik ist mehr als ein Algorithmus.

Keine qualitative Empfindung lässt sich aus Daten oder Informationen ableiten.


„Bewusstsein ist nicht das geistlose Durchlaufen von Datenzuständen, es ist SELBSTBEWUSSTSEIN.

Es ist FÜR MICH, dass ich Schmerzen habe, wahrnehme, verstehe.


Niemand weiß genau, wie dieses elementare Charakteristikum des Selbstseins vom Organismus überhaupt hervorgebracht wird, sicher jedoch nicht durch bloße Programme. Denn Programme und ihre Trägersysteme erleben nichts. Der Output solcher Systeme ist allenfalls die Simulation von Erleben, nicht das Original – was aussieht, schwimmt und schnattert wie eine Ente, ist eben noch lange keine Ente."


[Siehe auch: Qualiaproblem, Searles Chinesisches Zimmer, What Is It Like to Be a Bat etc.]


Das Gehirn ist kein Computer


1) Die Unterscheidung zwischen Hardware und Software ist im Gehirn nicht möglich. Jede Art Gehirnaktivität verändert die synaptischen Verschaltungen und neuronale Struktur. „Das Gehirn rekonfiguriert sich in jedem Moment seiner Tätigkeit.“: also immer.


2) Im Gehirn geschieht nie zweimal das Gleiche. Es gibt keine(n) Datenspeicher, keine fixen Daten oder Programme. „Es sind vielmehr variable dispositionale Reaktionsmuster, die bei Bedarf in ähnlicher, aber nie exakt gleicher Form aktiviert werden. Jede Wiedererinnerung, jede Handbewegung, jeder Denkprozess verläuft zumindest mit minimaler Variation und in einem neuen Kontext.“


3) Gehirnprozesse verlaufen parallel, über das ganze Organ verteilt und nicht wie im klassischen Dialogcomputer nacheinander ab. Außerdem ist das Gehirn auch bzw. überwiegend spontan und selbstgenerierend aktiv, wohingegen im Computer ohne Input garnichts läuft.


4) Die neuronale Signalübertragung lässt sich nicht ausschließlich binär beschreiben (Aktionspotentiale, die gemäß 0/1 feuern), da Neuromodulation die Signalverarbeitung zum großen Teil beeinflussen. Ebenso sind Glia- und Stützzellen an der Signalverarbeitung beteiligt. Et: zu 85% besteht das Gehirn aus Wasser – das würde einen PC zum sofortigen Kurzschluss bringen.


„Das Gehirn ist kein informationsverarbeitender oder komputationaler Apparat, sondern ein höchst lebendiges, plastisches und dynamisches Organ. Doch das Wichtigste ist: Dieses Organ kann seine Funktion für sich genommen gar nicht erfüllen. Es ist ein Organ des Körpers, mit dem es aufs Engste vernetzt ist.


BEWUSSTSEIN ENTSTEHT NICHT ERST IM KORTEX,


sondern es resultiert aus den fortlaufenden vitalen Regulationsprozessen, die den ganzen Organismus mit einbeziehen und die im Hirnstamm und höheren Zentren integriert werden. (…) So entsteht das leibliche, affektiv getönte Selbsterleben, das Lebensgefühl, das allen höheren geistigen Funktionen zugrunde liegt. Dies lässt sich auch so ausdrücken: Alles Erleben ist eine Form des Lebens.“


Quelle (mit größter Leseempfehlung):


Thomas Fuchs (2020). Verteidigung des Menschen. Grundfragen verkörperter Anthropologie. Berlin: Suhrkamp.



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